Ich habe kaum Ahnung vom Klimawandel. Ich habe kaum Ahnung von Politik. Trotzdem masse ich mir an, dass ich als Theologe einen Beitrag zur Diskussion beisteuern kann, der durchaus sinnvoll und womöglich auch etwas erfrischend ist, da er eine andere Perspektive einnimmt, als das was man Tag ein Tag aus hört. Wenn ich ehrlich bin, geht mir die Klimapanik etwas auf den Senkel. Nicht weil sie nicht gerechtfertigt wäre – wie eingangs gesagt, masse ich mir nicht an das wirklich beurteilen zu können und dass etwas geschehen muss, scheint mir klar -, aber ich denke, dass die Lösungen nicht radikal genug sind.

Das Problem hinter dem Problem

Aus meiner Sicht ist das Problem (natürlich vereinfacht) folgendes:

Zu viele Menschen wollen immer mehr.

Diese Analyse ist weder neu noch originell, denn schon Thanos meint dieses Problem im Film Infinity War auf seine ganz eigene Weise lösen zu müssen. Aber auch renommierte Intellektuelle wie Hartmut Rosa1  haben diesen Steigerungszwang der Menschheit, wenn auch etwas weniger der Pop-Kultur verpflichtet, als Grundübel erkannt. Von daher würde ich einmal salopp sagen, und ich werde hier wohl einiges an Widerspruch ernten, liegt die Lösung nicht in einem religiöser Eifer für einen veganen Lebensstil, einer radikalen Vermeidung von Flugmeilen oder in Auflehnung gegen die herrschende Politik. All das kann seinen Platz haben, die Lösung jedoch liegt aus meiner Sicht eine Ebene tiefer und ist dabei äusserst persönlich: Genügsamkeit. Wenn mein Leben nicht durch eine grundlegende Genügsamkeit bestimmt wird, werde ich immer mehr wollen. Aber, wenn ich mich in einem Bereich einschränke, werde ich es in einem anderen Bereich kompensieren (statt den Ferien auf den Bahamas kaufe ich mir einen neuen TV). Die Frage lautet also, wie wir Menschen genügsam werden. Aber diese umfassende Genügsamkeit hätte zutiefst mit unserer Identität zu tun: Wer bin ich denn, wenn ich nicht dieses und jenes habe, wenn ich nicht dieses und jenes kann, wenn ich nicht dieses und jenes bin? Die Geschichte zeigt uns hier ein durchaus düsteres Bild, denn wir Menschen wollten schon immer mehr. Dieses ‚mehr‘ zeigt zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten einfach ein unterschiedliches Gesicht. Ob Kriege, totalitäre Systeme, andere Menschenrechtsverletzungen oder die aktuelle Klima- und Umweltkrise, alles hat damit zu tun, dass wir Menschen immer mehr wollen. Wir scheinen ein unstillbares Verlangen, ein Loch zu haben, das unsere Mitmenschen und unsere Welt verschlingt. Aber wieso? Um wirklich eine Lösung zu finden, müssten wir eine Antwort auf diese Frage haben…

Das Problem hinter dem Problem hinter dem Problem

Als Theologe glaube ich hier einen Beitrag leisten zu können, denn die grosse Geschichte Gottes und der Menschen, wie sie in der Bibel skizziert wird, weist seit jeher auf diese Problematik hin. Die Geschichte erzählt sie wie folgt:

  1. Wir Menschen waren noch nie autonom, sondern wurden in und zur Beziehung mit dem lebendigen Gott geschaffen. Unser Sein ist aufs Tiefste verknüpft mit dieser göttlichen Liebe, in dieser Liebe und für diese Liebe. Totale Genügsamkeit in Beziehung zu Gott. Diese Liebe gibt uns von Anfang an auch die Freiheit sich ihr zuzuwenden oder von ihr abzuwenden.
  2. Wir Menschen waren noch nie selbstgenügsam, denn von Anfang an hatten wir auch einen Auftrag, der ausserhalb von uns selbst liegt: Aus der Sicherheit dieser göttlichen Liebe und Verbindung, gemeinsam mit anderen Menschen, diese Welt, zu bebauen (ja!) und zu bewahren (ja!).2
  3. In diesem Bezogensein, dieser Beziehungsfähigkeit und in dieser konkreten Beziehung zum Schöpfer liegt theologisch gesprochen unsere Gottebenbildlichkeit (imago dei), unsere Identität, unser Menschsein.
  4. Der Mensch aber will in seiner gottgegebenen Freiheit autonom sein. Der Mensch will mehr und meint dieses ‚mehr‘ ausserhalb der Verbindung mit dem Schöpfer zu finden.3 Er wendet sich ab. Er widerspricht dem Schöpfer und lebt fortan auch im Widerspruch zu sich selbst,4 denn der Mensch ist nur wirklich sich selbst in dieser Verbindung.
  5. Das Ursprüngliche ist im wahrsten Sinn verkehrt: Ein innerlich zerrissener Mensch, ‚zerreisst‘ seine Mitmenschen und gemeinsam zerreissen sie diese Welt. Sie tun dies auf der Suche nach dem, was sie verloren haben, auf der zwar jetzt berechtigten Suche nach mehr, die aber in die falsche Richtung geht.

So beantwortet die Bibel das ‚Wieso‘ des Menschen nach immer weiter, immer mehr, immer grösser. Im Neuen Testament wird dies im Jakobusbrief treffend zusammengefasst:

Ihr seid gierig und bekommt doch nichts. Ihr mordet und neidet und könnt auch so eure Wünsche nicht erfüllen. Ihr streitet und bekriegt euch – und habt nichts, weil ihr nicht darum bittet. (Jakobus 4,2)

Die Lösung

Dieses Bitten weist auf die Lösung hin. Eine Lösung, die alle aktuellen Bestrebungen nicht ausschliesst und doch viel tiefer greift. Bitten heisst zuwenden, sich anvertrauen. Die Lösung heisst, ich wende mich Gott zu – so banal das auch klingen mag. Das ist jedoch einfacher gesagt als getan, denn wir Menschen sind misstrauisch. Wir haben Angst davor, uns auf ein Gegenüber einzulassen, denn es könnte ja sein, dass ich nicht mehr bekomme, sondern dass mir mehr genommen wird.5 Wir Menschen brauchen es, dass Gott sich uns zuerst zuwendet – und zwar auf eine radikal unmissverständlich-liebende Art. Diese radikale Zuwendung Gottes in der Geschichte der Menschheit fand ihren Höhepunkt in der Inkarnation, dem Leben und dem Tod von Jesus von Nazareth, dem Christus. Ein radikales Zeichen der Liebe Gottes mit dem Ziel, die Menschen wieder mit dem vollen (ewigen) Leben zu verbinden:

Denn Gott hat die Menschen so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab. Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen, sondern das ewige Leben haben. (Johannes 3,16)

Ich finde es interessant, aktuell ist es salonfähig und allgegenwärtig davon zu sprechen, es auf Plakate zu malen, dafür zu demonstrieren, dass diese Welt und wir mit ihr zugrunde gehen, wenn nichts radikal Einschneidendes passiert. Die christliche Tradition spricht seit jeher davon, aber seit Jahrzehnten, wenn nicht schon fast Jahrhunderten, ist diese Botschaft alles andere als salonfähig. Dabei war dieser christliche Aufschrei auch seit jeher nur ein Nebenprodukt des Eigentlichen, nämlich einer frohen Botschaft, einer Lösung: das Evangelium. Gott ist immer noch für uns. Er hat es längst bewiesen. Wende dich ihm zu, denn nur dort kommst du zur Ruhe. Nur dort hast du genug. Nur dort bist du wirklich du selbst. Und deshalb kannst du nur dort aus dieser wahren Selbst-Genügsamkeit heraus dich im deinen nächsten und diese Welt kümmern.6

Deshalb will ich meinen Beitrag leisten. Ja, ich will genügsam leben. Ich will vor allem auch anderen helfen diesem Gott zu begegnen, der genug ist, genug gibt und wohl der Einzige ist, der dieses menschliche, ja sogar kosmische Problem lösen kann. Nicht ohne uns, sondern mit uns, denn das war von Anfang an sein Plan. Ich sage das nicht, weil ich wirklich etwas davon verstehe, sondern weil ich diesen Gott kenne.

Footnotes

  1. Zum Beispiel in seinem Werk Resonanz, Berlin Suhrkamp, 2018.
  2. Genesis 2,15
  3. Genesis 3
  4. Siehe zu dieser Formulierung Emil Brunner, Der Mensch im Widerspruch, Berlin, Furche-Verlag, 1937.
  5. Ohne hier ins Detail zu gehen sind die Erkenntnisse aus der Beziehungsforschung, insbesondere der Interdependence Theory und der Attachment Theory, äusserst aufschlussreich und sehr deckungsgleich mit dem Bild, das die Bibel vom Menschen zeichnet.
  6. Diese Sicht ist meines Erachtens auch eine Anti-These gegen jegliche Art von Religiosität, die dieses existentielle Beziehungsgeschehen nicht radikal im Zentrum hat – egal ob sie liberal oder konservativ verpackt ist. Leider gibt es gerade im sogenannten Christentum etliche Beispiele, die mehr zum Problem als zur Lösung beitragen

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