In der aktuellen Situation (Corona und so) gibt es ganz verschiedene Aussagen und Gefühle in Bezug auf die Kirche. Die einen meinen, das sei ihr Untergang. Die anderen prophezeien, dass ihr die aktuelle Situation Aufschwung verleiht. Die einen monieren, dass die Kirche nicht als „systemrelevant“ oder „existenzsichernd“ betrachtet wird und meinen Gottesdienste dürften nicht verboten werden. Andere preisen die aktuelle Entwicklung als dringend nötige Digitalisierung dieser verstaubten Institution – #digitaleKirche. Meine Meinung? Alle haben irgendwie Recht – oder auch nicht. Jedenfalls glaube ich, dass eine grundlegende Differenzierung hilfreich ist: 1. Was ist die Kirche? 2. Weshalb der Gottesdienst (Versammlung)?

Was ist die Kirche?

Da ich diese zwei Punkte auseinander nehme wird schon deutlich, dass Kirche ≠ Gottesdienst ist. Die Kirche ist kein Anlass, auch keine eigentliche Institution oder Organisation; sie ist ein Organismus, der aus Menschen besteht. Die Kirche ist eine Jesus-Bewegung mit einer gemeinsamen Basis, einem gemeinsamen Auftrag und einer gemeinsamen Vision. Kirche kann also eigentlich nicht verboten werden – und das ist ja auch gar nicht das Thema. Aus unserer Sicht ist Kirche auf jeden Fall „systemrelevant“ und im höchsten Masse „existenzsichernd“, denn das neue, eigentliche Leben durch Gott findet nur als Teil dieser so verstandenen Kirche statt. Muss das die Gesellschaft erkennen oder gar anerkennen? Ich glaube nicht. Dürfen (organisierte) Versammlungen in dieser Ausnahmesituation verboten werden? Ich glaube schon. Deswegen stirbt Kirche nicht. Denn wenn sie deswegen stirbt, dann bin ich mir nicht sicher, ob sie vorher wirklich Kirche war. Kirche sind Menschen mit einer Basis, einem Auftrag, einer Vision und sie leben darin gewissermassen unabhängig von äusseren Umständen und sie finden auch Wege, wie sie das gemeinsam tun können. Deshalb: Gottesdienste werden nicht verboten – nein – im Gegenteil, vielerorts florieren sie in digitalen Formaten und erreichen Menschen, die nie eine Schwelle des Gotteshauses überschritten hätten. Aber das ist bei weitem nicht alles! Digital als Kirche zu leben ist mehr als nur der Gottesdienst. Kleine Gruppen treffen sich virtuell, Leute ermutigen sich gegenseitig in alternativen Formen, persönliche Spiritualität erlebt Aufschwung. Wer weiss, vielleicht wird das, was Kirche wirklich ausmacht, ganz neu entdeckt. Oder auch nicht – aber dann ist diese konkrete Kirchen-Organisation oder Institution zu Recht dem Untergang geweiht.

Weshalb der Gottesdienst (Versammlung)?

Wieso sollte es dann überhaupt noch Versammlungen geben, wenn es doch auch so geht? Stichwort #digitaleKirche – die Corona-Kirchenentwicklung ist ja bloss ein Echo dieser längst auf Twitter und co geforderten Veränderung. Persönlich mache ich mir darüber schon länger Gedanken. Wie wird sich Kirche sich in Zukunft zeigen? Was heisst das für die Gottesdienste? Corona stellt uns aktuell gerade ein Bein und die allermeisten lokalen Kirchen fallen, stolpern oder torkeln in diese Richtung – ungeplant. Gut? Gut so! Wie bereits erwähnt: Lehre, Seelsorge, Evangelisation kann alles stattfinden. Das kann gut individuell stattfinden. Dort liegt aktuell wohl auch der Schwerpunkt der meisten Kirchen – zumindest eines dieser drei sicherzustellen. Aber was ist mit Gemeinschaft, Mitarbeit (im Sinne von Mitgestalten) oder Förderung von geistlichen Entwicklungsprozessen? Das ist schon deutlich schwieriger – da es eben nicht nur ums Individuum geht, sondern nur im konkreten Bezug, in konkreter Beziehung mit anderen geschehen kann. Zugegeben, in gewisser Weise kann das auch digital stattfinden – wenn auch reduziert. Aber mir wurde nun – zumindest im Ansatz – klarer bewusst, was #digitaleKirche auch nicht so einfach leisten kann und wieso der Gottesdienst vor Ort Sinn macht. Die Versammlung (ein durch und durch biblisches Wort für die lokale Konkretisierung von Kirche) kann, erstens, alle diese genannten Aspekte in sich vereinen und, zweitens, Raum dafür bieten, dass all das ganz nebenher, auch ungeplant, stattfindet. Seelsorgerliches kann ganz natürlich nebenher geschehen, ohne dass jemand einen Termin abmacht. Gemeinschaft kann spontan geschehen, einfach weil jemand mich anspricht. Nicht nur im Rahmen offizieller Positionen und Rollen (dort auch) können Menschen mitarbeiten, sondern schlicht weil sie da sind und sich in die Gemeinschaft einbringen. All das lässt geistliche Entwicklungsprozesse fernab von geplanten, individuellen Programmen geschehen auch bei Leuten, die das gar nicht aktiv gesucht haben. Es geschieht in der grösseren Gemeinschaft. Natürlich findet all das nicht automatisch statt und je nach Kirchen- oder Gottesdienst-Modell wird dafür auch nur wenig oder gar kein Raum geschaffen. Aber es kann – das Potential dafür ist gegeben wie sonst kaum ausserhalb der grösseren, ganz realen Versammlung. Diese konkrete Gemeinschaft, die sich nicht nur ums Individuum dreht, hat enormes Transformationspotential, gerade auch deshalb, weil man sich eben nicht alles auf Knopfdruck zusammenstellen kann – inklusive den Kontakten, die ich haben will. Vielleicht müssen unsere Versammlungen/Gottesdienste in Zukunft dahingehend überdacht werden, weil sie mehr sind als der Ort der wöchentlichen, persönlichen, geistlichen Zwischenverpflegung.

Mein Fazit: 

Kirche ist so viel mehr als Gottesdienst, Kirche lebt im realen Leben, inmitten unserer Gesellschaft – über welche „Kanäle“ auch immer. Aber die Versammlung im Gottesdienst hat enormes Potential Katalysator dafür zu sein, was Kirche auch ausserhalb des Gebäudes und Gottesdienstraums ausmacht und kann meiner Meinung nach nicht ohne weiteres ersetzt werden. Das wird mir nun – durch diesen doofen Virus – richtig bewusst.

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